MANIFEST DER PRAGER GRUPPE*
§ 1 Allgemeines
(1) Nicht jeder Mensch philosophiert und doch ist Philosophie ein Interesse jedes Lebens.
a) Stets kann uns Menschen etwas passieren, das die Dinge, so wie wir sie bis dahin kannten, fragwürdig werden lässt. Wir suchen dann Zuflucht bei anderen Menschen, in beratenden Büchern, gehen auf Reisen. Doch manches lässt uns so ratlos zurück, dass wir nur noch im Philosophieren in eine Richtung gehen können.
(2) Die Beschäftigung mit Philosophie sollte allen Menschen so frei wie möglich sein.
(3) Obwohl die Universität ein wichtiger Ort der philosophischen Bildung ist, ermöglicht sie weder allen Menschen einen einfachen und somit freien Zugang zu Philosophie noch ist die Erforschung von Philosophie selbst in ihr wirklich frei. Es besteht deshalb die Not, Menschen eine uneingeschränkte Beschäftigung mit Philosophie zu ermöglichen und diese zu fördern.
§ 2 PG* / Prager Gruppe*
(1) Einige Menschen verschiedener Herkunft, die in Prag gemeinsam philosophieren, haben sich daher aus freiem Willen dazu entschieden, sich als „Prager Gruppe*“ zusammenzufinden.
a) Die Prager Gruppe* ist eine philosophische Gruppe, die aufgrund der beschriebenen Situation zustande gekommen ist. Die eine oder andere Person hat sich derart sogar zum rührenden Bekenntnis hinreißen lassen, hier ein philosophisches Zuhause gefunden zu haben.
b) Der Name der Prager Gruppe* ist vakant und vielfach. Die Namen sind daher fortan genannt unter der Chiffre PG*. Die PG*, darunter ist auch und vor allem zu verstehen; die Peitschen-Gang, die philosophischen Ganov*innen, Pantagruel-Gargantua*…
c) Das Manifest der PG* ist von ihren Mitgliedern geschaffen und wird auch weiterhin von ihren Mitgliedern geschaffen werden.
d) Wer in einer Schatulle wohnt, der hat einen Schatz.
§ 3 PG* und Philosophie
(1) Die PG* vertritt eine Auffassung von Philosophie, nach der sie vieles ist, ohne alles zu sein und je eines ist, ohne ein einziges zu sein. Das mag kompliziert klingen, heißt aber nur Folgendes:
a) Philosophie macht nachvollziehbar, auf welchen Grundlagen Denken allgemein, Wissenschaft, Geschichte, Machtstrukturen, unser Inneres, menschliche Beziehungen und weiteres funktionieren.
b) Philosophie ist mehr als ihre Manifestationen; mehr als die Universität, als die PG*, als ein abstraktes Luftschloss, als eine Doktorarbeit, als kluges Argumentieren oder Ausdruckstanz des In-der-Welt-Seins.
c) Philosophie zeigt von Philosophie, dass ihre Wirklichkeit oft elitär und ihre Wahrheit immer revolutionär ist.
d) Philosophie hat gute Ideen. Ideologie gründet auf schlechten Ideen. Worauf etwas nicht gründet, das kann jenes etwas auch nicht sein. Ergo ist Ideologie weder Philosophie noch kann sie auf ihr gründen.
e) Philosophie kommt erstens anders und zweitens als man denkt.
§ 4 Das Selbstverständnis der PG*
(1) Zwischenmenschlich: Die PG* zeichnet sich durch ein freundschaftliches, kritisch-gesinntes Klima aus und bleibt inneren und äußeren Entwicklungen gegenüber offen.
a) Das heißt, dass sie als ein Ort möglichst hierarchiefreien, respektvollen, ehrlichen und gutwilligen Austausches konzipiert ist und gelebt wird. Freundschaftlich ist der Austausch, da er von der ehrlichen Absicht, einander zu helfen und unterstützen, getragen ist. Er ist kritisch, da er sich innerhalb der grundlegenden Freundschaftlichkeit auch vor Dissens, vor Meinungsverschiedenheiten und dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Auffassungen und Sichtweisen nicht scheut.
b) Es besteht kein Zwang zur Kollektivarbeit. Es dürfen sich innerhalb der Gruppe kleinere Grüppchen bilden, bei denen sich geteilte Interessen herauskristallisieren. Die Gruppe entwickelt so eine innere Ausdifferenzierung, die aber doch durch regelmäßigen Austausch miteinander vermittelt wird.
c) Obwohl der Fokus der PG* zunächst auf der Stiftung einer funktionierenden Gruppe liegt, ist sie prinzipiell offen für Kooperationen verschiedener Art.
(2) Historisch: Die PG* ist dem geistigen Klima erwachsen, an dem ihre Mitglieder an der Karls-Universität in Prag teilhaben durften. Die – verhältnismäßig – flachen Hierarchien, die (inter‑)kulturelle und sprachliche Vielseitigkeit Prags wurden von den Mitgliedern als idealer Raum für die Offenheit des Philosophierens erfahren. Die PG* ist inspiriert von der Idee eines philosophischen Ortes, nach der sich viele Philosophierende an der Universität und andernorts sehnen. Davon inspiriert sieht sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dazu verpflichtet, auch für weitere Menschen dieses Zuhause sein zu können oder sie zumindest dazu anzuhalten, ein solches andernorts zu finden.
a) Zwar hat die PG* (noch) niemanden aus dem Fenster gestürzt, keine Charta 77 unterschrieben und auch an keiner samtenen Revolution mitgewirkt und dennoch findet sie Augenblicke, sich am Institut gegenseitig zu unterrichten, in böhmischen Gasthäusern gemeinsam zu philosophieren und vom brodelnden Boden des Bierkessels zur gemeinschaftlichen Gestaltung eines neuen Miteinanders aufzubrechen.
(3) Politisch: Die PG* ist zugleich eine grundlegend politische Gruppe und keine politische Gruppe.
a) Sie verfolgt weder eine parteipolitische Agenda noch versteht sie sich als aktivistisch. Dennoch sieht die PG* ihrer Gründungsidee nach die Universität als einen politischen Raum, zu dem auch sie selbst gehört und den sie zugleich kritisieren wie gestalten will. Sie klagt die Universität an, aufgrund der in ihr bestehenden neoliberalen, sexistischen, genderspezifischen, rassistischen und klassistischen Rahmenbedingungen und verweist sie darauf, dadurch die Idee der menschlichen Freiheit des Denkens nur unzureichend zu verwirklichen und die Möglichkeiten der Philosophie unzulässig einzuschränken. Die zur Summe von Impactfaktoren verkommene Forschungsgemeinschaft konkurriert in Echokammern hohler Theorietrends gegen sich selbst, einzig um effizientere Wege zur individuellen Ausbeutung zu finden. Die primäre politische Handlung der PG* besteht daher in einer kritischen Haltung zur Universität, die sie in verschiedenen Formen – Publikationen, Tagungen, Summer Schools und anderes – einzunehmen beabsichtigt. Die PG* hofft, dadurch auch indirekt auf die Gesellschaft zu wirken.
b) Weil die Wurzel dieser Probleme jedoch nicht bei der Universität liegt, sondern über sie hinausgeht, hat die PG* auch allgemeinere politische Überzeugungen. Sie ist nicht für jede Form politischer Gesinnung offen und grenzt sich klar ab von jeder Ideologie der Ausbeutung, Diskriminierung und Ausgrenzung. Als philosophische Gruppe versteht sie hingegen die Werte von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Inklusion als regulative Ideen, auf die je handelnd hingearbeitet werden muss. So behalten ihre Mitglieder es sich vor, auch Jahrbücher zu tagesaktuellen, politischen Themen herauszugeben. Die PG* ist also frei, situativ zu einem Ort politischer Auseinandersetzung zu werden.
(4) Gesellschaftlich: Die PG* sieht sich sowohl der akademischen Philosophie als auch den philosophischen Interessen der alltäglichen Lebenswelt verbunden. Sie will deshalb langfristig eine Mittlerfunktion zwischen den beiden einnehmen und ihren Dialog befördern.
a) Oft ist die Kommunikation zwischen diesen beiden Bereichen vorbelastet. Akademisch versteigt man sich in philosophische Fachdebatten, verkompliziert die Dinge bis ins Allerkleinste und hält Leute ohne eine entsprechende Expertise für unwürdige Gesprächspartner*innen, lebensweltlich hingegen wird niemandem das Philosophieren nahegebracht und es kann keine Gelegenheit dazu gefunden werden, weshalb die Diskussionen an der Universität als untaugliche, abstrakte Spekulation erscheinen, als ein Glasperlenspiel, dessen Glasperlen allzu oft zwischen den Beinen von Männern mit hoher Meinung von sich hängen.
b) Die PG* betont, dass die Universität verwurzelt ist im gesellschaftlichen Alltag, den wir alle teilen. Sie ist daher bemüht, einen Dialog universitären Forschens mit der breiteren Gesellschaft zu initiieren und sei es auch zunächst nur dadurch, dass sie Kritik an der Universität übt. Zugleich spricht sie sich dafür aus, die gesellschaftlichen Anliegen auf ein offenes Ohr an der Universität treffen zu lassen. Universität und Gesellschaft sollen aus- und aufeinander wirken, gemäß der beschlossenen und verschiebbaren Grenzen sich beeinflussen.
c) Zu diesem Zweck ist es möglich, dass die PG* auch jenseits der Universität künftig mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen zusammenarbeitet. Auch in Gefängnissen, Schulen und Seniorenzentren gibt es Menschen, die sich womöglich für Philosophie begeistern.
Gezeichnet:
– Borsgirlilius Stoicheion Blüthenstaub –
– Nico Graack –
– Sandro Herr –
– Markus E. Hodec –
– Pavel Kabát –
– Martin Krebs –
– Julia Lackner –
– Thérèse Laetitia –
– Lutz Niemann –
– Rosalia R. Panthère –
– Sara Pasetto –
– Jan David Schenk –
– Vanessa Schmitz –
– Marius Sitsch –
– Jonas Vanbrabant –
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info@prager-gruppe.org